Volksentscheid: "Wir brauchen sie alle"
Betriebsräte großer Firmen werben für die Primarschule. Das jetzige Schulsystem bringe zu wenig gute Schüler hervor, darum seien Ausbildungsplätze schwer zu besetzen.
Sechs Tage vor dem Volksentscheid haben sich am Mittwoch Betriebsräte von zehn Großbetrieben für die Primarschule ausgesprochen. Fast ein Viertel der Schüler sei heute "nicht in der Lage eine Ausbildung durchzustehen", mahnte Uwe Grund, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Dies habe die Stadt bislang durch Umland-Bewerber ausgleichen können. Das werde sich aber bald aufgrund des Geburtenrückgangs dramatisch ändern. Grund sagte: "Wir brauchen sie alle."
Die Betriebsräte berichten aber schon heute von den Problemen, geeignete Bewerber zu finden. Die Gabelstapler-Firma Still zum Beispiel hat seit 20 Jahren den gleichen Aufnahmetest. "Es wird immer schwerer, Bewerber zu finden, die den Test bestehen", sagte Betriebsrat Kay Pietsch. Man nehme inzwischen auch junge Leute, die lediglich ein "Grundverständnis für Technik" mitbrächten. Ganz ähnlich ist die Erfahrung bei den Daimler-Werken. "Bei den meisten Schülern sind die Schulleistungen im Test zu gering", sagt Betriebsrat Norbert Dehmel.
Vattenfall habe sich früher immer bemüht, auch Hauptschüler gemäß ihres Anteils am Jahrgang zu nehmen, sagt Betriebsrat Michael Hoepfner-Denecke. "Die Realität ist aber, dass man heute keinen Hauptschüler mehr einstellen kann." Hoepfner-Deneckes Sohn ist 24 und war in Harburg auf einer Gesamtschule. "Er berichtet mir, dass seine Kumpels heute verstehen, dass sie in dieser Gesellschaft keine Chance haben." Die Aufteilung nach Klasse 4 komme ihm vor, "als würden wir Eier nach Größe sortieren, statt uns die Mühe zu machen, sie auszubrüten".
"Die Primarschule hätte schon vor fünf Jahren kommen müssen", sagt HHLA-Betriebsrat Arno Münster. Die firmeneigene Fachschule müsse sehr viel nachhelfen, damit die Auszubildenden ihr Ziel erreichen. Und die Allianz-Versicherung hat laut Betriebsrat Jens Schulzki ausgerechnet, dass man schon in fünf bis sechs Jahren "erhebliche Probleme" bei der Nachwuchssuche haben wird. "Es ist extrem wichtig, dass wir in den Schulen alle mitkriegen."
Ver.di-Chef Wolfgang Rose resümiert: "Die Arbeitswelt hat sich verändert. Man muss das Lernen lernen und in der Lage sein, ein Leben lang mit einer veränderten Arbeitswelt klar zu kommen." Eben dies sei auch Inhalt der Schulreform.
Bis Mittwoch waren insgesamt 403.946 Briefe beim Wahlamt eingegangen. Sollte die Primarschule gestoppt werden, warnt Uwe Grund, "wird der Standort Hamburg geschwächt".
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